Torsten Voss: "...war ja nie ganz weg"

Von Klaus Schimmagk
Schwerin

Zehnkampf-Weltmeister Torsten Voss trainierte mit seinen jungen Athleten an alter Wirkungsstätte in Schwerin

Der verlorene Sohn war wieder einmal da. Nicht allein. Torsten Voss, erster deutscher Zehnkampf-Weltmeister und Olympiazweiter 1988 gastierte die vergangene Woche mit einer achtköpfigen Trainingsgruppe vom SC Bayer Uerdingen im Sportforum. Braungebrannt, mit federndem Gang durchmisst der 46-jährige den Rasen im Stadion Lambrechtsgrund. Weist seine Athleten kurz an, korrigiert eine technisch nicht korrekte Ausführung, lobt sie auffallend häufig bei gut absolvierten Übungen. Ohne sich ablenken zu lassen beantwortet er die Fragen von Klaus Schimmagk.

Vom Habitus immer noch ein Modellathlet, gilt Torsten Voss jetzt als erfolgreicher Trainer in der Königsdisziplin. In nur drei Jahren hat er Michael Schrader, die deutsche Olympia-Überraschung in die Weltspitze geholt. Mit 194 Punkten überwand der 21-jährige Bundeswehrsoldat 2008 in Peking als Zehnter die ominöse 8000er-Marke. "Michael ist so ein Typ wie ich, schnellkräftig, motorisch begabt, dazu belastungsfähig und ehrgeizig", so Vossi über seinen Schützling. Leistungswillig seien aber die anderen Jungs seiner Trainingsgruppe auch. "Ich muss sie eher bremsen als motivieren."

Hungrig nach Erfolg, im guten Sinne süchtig nach immer neuen Herausforderungen - "Vossi", wie ihn seine Freunde rufen, hat sich seit seinem Fortgang vor fast 20 Jahren nicht verändert. Mit der Einstellung stürmt er schon damals in die Weltspitze. Gerade 19 schafft der gebürtige Güstrower Junioren-Weltrekord (8387 Punkte) und wird erstmals DDR-Meister wurde. Mit 24 erobert er 1987 in Rom vor dem Mainzer Siegfried Wentz sensationell die Weltmeisterkrone, schraubt seine Bestleistung auf 8680 Punkte und wird zum "Sportler des Jahres" in der DDR gekürt. Ein Jahr später schmückt er sich hinter dem Rostocker Christian Schenk in Seoul mit olympischem Silber.

Je höher die Berge, je tiefer die Täler. Mit dem DDR-Leistungssport kommt nach der Wende auch Torsten Voss ins Rutschen. 1990 verlässt er den Schweriner Sportklub in Richtung Westen, denn sein Betrieb ist Pleite. Der Bayer-Club in Uerdingen stoppt die berufliche Talfahrt. Er findet eine feste Anstellung beim Chemiegiganten, die den Lebensunterhalt für seine junge Familie sichert und den Kopf wieder frei für den Leistungssport macht. Erst einmal aber zahlt der Körper Tribut für über 15 Jahre harte Arbeit am physischen Limit. Nach langer Verletzungspause bäumt sich Voss 1993 als deutscher Vizemeister und 8037 Punkten noch einmal auf. Dann ist Schluss mit dem Zehnkampf.

Aber Voss wäre nicht Voss, suchte er nicht eine neue Bewährung. Als Anschieber in den Bobs von Harald Czudaj, Wolfgang Hoppe und Dirk Wiese sammelt er bis 1997 weitere drei WM-Medaillen. "Vor allem im Czudaj-Team habe ich mich sehr wohl gefühlt", will Torsten Voss die Zeit im Eiskanal nicht missen.

Es ist das dort erlebte Wir-Gefühl und die Partnerschaft, die er braucht und die er als Trainer weitergibt. Seit fünf Jahren betreut der hauptberufliche Betriebs-Feuerwehrmann und lizenzierte Trainer ehrenamtlich 15 junge Athleten. Darunter auch seine Kinder? "Nein, weder Sohn noch Tochter sind leistungssportlich interessiert. Nichtsdestotrotz, die Trainertätigkeit macht mir viel Spaß, auch wenn sie sehr, sehr zeitaufwändig ist. Leider werden die Talente im Kinder- und Jugendalter viel zu wenig unterstützt. Wir trainieren wie Amateure, da können keine Profi-Leistungen rauskommen." Bis auf Michael Schrader müssten die anderen Jungs z.B. ihr Schweriner Trainingslager und ihre Ausrüstung aus der eigenen Tasche bezahlen. "So übernachten und essen wir auch in der Jugendherberge." Der Widersinn bestehe darin, dass man erst dann richtig gefördert wird, wenn man als Erwachsener in der Spitze angekommen ist. Deshalb springen viele Talente vorher ab, um zu studieren oder zu jobben. Es sei nur logisch, dass die Edelmetall verwöhnte deutsche Leichtathletik in Peking lediglich einmal Bronze holte. Dafür aber - wie man es preist - dopingfrei! Voss: "Ich bin strikt gegen unlautere Mittel!" Aber die Diskussion sei für seine Begriffe "zu ostlastig" und dürfe nicht von Mängeln in der Strategie ablenken. "Wir sind ja nicht von ungefähr in Schwerin. Meine Athleten waren überrascht von Stadion, Lauf- und Wurfhalle." Michael Schrader: "Die Bedingungen sind einfach, aber äußerst zweckmäßig. Deshalb werde ich wiederkommen."

Und sein Trainer, der verlorene Sohn der Schweriner Leichtathletik? "Ich war ja nie richtig weg. Selbst als Bobfahrer habe ich einige Mal mein Konditions- und Krafttraining hier absolviert. Außerdem habe ich ein ausgebautes Ferienhaus an einem See bei Gadebusch, in dem meine Eltern wohnen. Aber ganz und gar zurückkehren werde ich wohl erst als Rentner...".

Michael Schrader: Ziel ist eine Olympia-Medaille in London

Michael Schrader heißt die neue deutsche Zehnkampf-Hoffnung. 8194 Punkte brachten ihm beim olympischen Debüt 2008 in Peking Rang 10 ein. Der gebürtige Duisburger hat als Bundeswehrsoldat ideale Möglichkeiten, Leistungssport zu treiben.

Der Profi wird seit drei Jahren von Torsten Voss betreut. Ehrenamtlich, soweit das Bayer-Werk seinen Feuerwehrmann dafür freistellt. Vor Schwerin waren beide im warmen Südafrika, um den dreimonatigen Trainingsausfall nach einem Ermüdungsbruch in Schraders linkem Fußgelenk zu kompensieren. "Ich hoffe schmerzfrei zu bleiben, damit ich dieses Jahr noch die 8400 Punkte knacken kann." Er setze sich allerdings nicht unter zu hohen Leistungsdruck. "Und ich habe mit Herrn Voss einen ebenso hart fordernden wie verständnisvollen Trainer - einen richtig guten Freund. Er baut mich langfristig auf. Unser großes Ziel ist eine Medaille bei Olympia in der Königsdisziplin der Leichtathletik. London 2012 ist die nächste Gelegenheit."

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